Brunhilde (68): Mein leben mit Verlust(ängsten)

Eine Frau steht auf einem abgeernteten Feld mit einem Schirm in der Hand

Der Monat Mai hat vor 18 Jahren alles schlagartig verändert. Bis dahin führte ich ein zufriedenes Leben. Ich hatte mich auf eigenem Wunsch von meinem Mann getrennt und mit der Liebe meines Lebens ein neues Leben aufgebaut. Zu dem Zeitpunkt hatte ich zwei heranwachsende Kinder, mein Lebensgefährte eine heranwachsende Tochter. Wir führten das Leben einer Patchwork-Familie, was nicht immer einfach war. Bis zu dem Ereignis haben wir über zwölf Jahre zusammengelebt. Wie immer im Mai fuhr mein Partner mit einem Freund ins Ausland auf Motorradtour.

Am sechsten Tag nach seiner Abreise erfuhr ich durch einen Anruf von der mittlerweile erwachsenen Tochter meines Lebenspartners, dass er am Vortag tödlich verunglückt war. Es war genau 20 Uhr und ich lief schreiend durch unser Haus. Bei meiner Tochter im Zimmer, die immer noch bei uns wohnte, brach ich zusammen. Ich konnte das, was ich am Telefon erfahren hatte, nicht glauben. Meine Tochter rief ihren Vater an, zu dem wir noch immer einen guten Kontakt hatten, und bat um Hilfe. Er kam umgehend. Durch den Freund meines Partners erfuhr ich am nächsten Tag die näheren Umstände des Unfalls.

Mit diesem Ereignis veränderte sich mein Leben total. In unserem damaligen Alter – 50 Jahre – war der Tod noch kein Thema. Es gab kein Testament. Um die Familie und den Freundeskreis musste ich mich kümmern, sie waren mit dem plötzlichen Tod überfordert. Ich fing sie auf und blieb dabei auf der Strecke, was aber niemand bemerkte. Für mich gab es nur Arbeit, Vergessen und beiseite schieben – seitdem habe ich Schlafstörungen und Tinnitus. Nach fünf Monaten holte ich mir Hilfe bei einer Psychotherapeutin. In einer Gesprächstherapie arbeitete ich das Erlebte auf. Im gleichen Jahr im November verstarb meine einzige Schwester nach längerer Krankheit.

Mir wurde eine mehrwöchige Rehamaßnahme empfohlen, die ich dankend annahm. Damit begann meine Aufarbeitung, die nicht immer leicht war. Bis heute arbeite ich meine persönlichen Schicksalsschläge (Verluste) mit Hilfe meiner Therapeutin auf. Ich schäme mich nicht, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dank einer relativ gesicherten finanziellen Situation konnte ich als Teilzeitkraft in meinen erlernten Beruf zurückkehren. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine niedrigere Altersversorgung.

Das Erlebte hat mich empfindsamer gemacht. Neue Partnerschaften, denen ich aufgeschlossen gegenüberstand, haben Spuren hinterlassen. Mittlerweile führen meine Kinder mit ihren Familien und Kindern ein eigenes Leben. Mein Rentenalter rückt immer näher. Was kommt dann? Ich werde ganz viel Zeit haben, und Freundschaften werden immer wichtiger und bekommen nochmals eine andere Bedeutung. Durch Gespräche mit einer Freundin wurde mir der Deutsche Frauenbund für alkoholfreie Kultur nahegebracht. Inzwischen habe ich den Verband kennengelernt. Von den angebotenen Seminaren und Treffen mit Frauen profitiere ich.

Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass die Zeit meine Wunden immer besser verheilen lässt. Aber ich habe auch gelernt, dass ich auf mich achten muss. Mein Problem, was ich erkannt habe, wird mich weiterhin begleiten. Mit meinen Verlustängsten, in welcher Form auch immer, muss ich mich auseinandersetzen.

Die Corona-Pandemie ab März 2020 hat mich persönlich gefordert, wie viele andere auch. Die Einschränkungen waren eine Herausforderung für mich, weil sich mal wieder alles verändert. Dazu kommt die neue Situation, mit meinem Rentenleben klarzukommen. Ich habe keine Scheu, diese Problematik mit anderen zu besprechen.

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