Astrid (62): „Ich fühlte mich wie eine gefühllose Maschine.“

Viele Jahre beherrschte der Alkohol mein Leben. Er war zu meinem Freund, meinem Seelentröster, meinem Verbündeten geworden. Ich setzte ihn ein, wann immer ich glaubte ihn zu brauchen – in Freud und Leid und immer öfter. Ein Leben ohne Alkohol wurde unvorstellbar, ich wollte mich mit meinen Gefühlen und Problemen nicht auseinandersetzen, geschweige denn sie zulassen. Von anfänglich Wein und Sekt stieg ich auf härtere Alkoholika um, damit ich die gewünschte Wirkung erreichte.

2014 fiel meine Sucht an der Arbeitsstelle auf. Ich bekam die Auflage, zu entgiften und eine Langzeittherapie zu machen. Die Auflagen meines Arbeitgebers erfüllte ich und kehrte wieder zurück in meinen erlernten Beruf – als Lehrerin für Pflegeberufe. In Teilzeit arbeiten wollte ich nicht, denn ich fühlte mich dem Leben wieder gewachsen. Ein halbes Jahr schaffte ich es, trocken zu bleiben.

„Ich war wieder drin im Hamsterrad.“

An meinem 60. Geburtstag gab ich mich dem Trugschluss hin, dass ein Glas Sekt doch wohl nicht schaden könne. Eine fatale Annahme, denn sehr schnell erreichte ich meine gewohnte Trinkmeng. Und um überhaupt die gewünschte Wirkung zu erhalten, brauchte ich immer mehr. Ich war wieder drin im Hamsterrad. Als ich schließlich meine Arbeitsstelle verlor, fiel ich in ein tiefes Loch. Ich trank den ganzen Tag, da mir nun die Tagesstruktur fehlte. Wenn ich nicht trank, schlief ich. Ich begann mein Äußeres zu vernachlässigen, mein Haushalt lag brach, außerdem plagten mich starke Depressionen. Ich fühlte mich wie eine gefühllose Maschine. Seit langem wusste ich, dass ich alkoholabhängig war. Außenstehenden und der Familie gegenüber gab ich immer nur an, an Depressionen zu leiden, obwohl die heimlich leergetrunkenen Flaschen, die meine Familie fand, Bände sprachen. Längst sah man mir auch äußerlich die Suchterkrankung an.

„Dann kam der Tag, der alles veränderte.“

Unter Alkoholeinfluss verursachte ich einen Auffahrunfall und mir wurde der Führerschein entzogen. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einer Ausnüchterungszelle der Polizei. Was genau passiert war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, erst Stunden später, die mir endlos vorkamen, erfuhr ich, dass zum Glück keine Person zu Schaden gekommen war.

Es folgte eine sechswöchige psychiatrische Behandlung, wovon ich zehn Tage in einer geschlossenen Abteilung verbringen musste – wegen Selbstgefährdung. Ich durchlief sprichwörtlich die Hölle und mir wurde bewusst, dass ich solch ein Leben nicht länger aushalten wollte und konnte. So begab ich mich auf Anraten der Ärzte und meiner Familie in eine 14-wöchige Langzeittherapie in eine Spezialklinik. Dort wurden neben der Alkoholabhängigkeit auch Depressionen und Traumata behandelt. Es folgte eine einjährige Nachsorge. Zweimal monatlich besuchte ich zusätzlich die Selbsthilfegruppe des Deutschen Frauenbundes für alkoholfreie Kultur. Ein anstrengender und steiniger, ja oft mühsamer Weg liegt hinter mir – aber es hat sich gelohnt.

„Ich habe mich selbst wiedergefunden!“

Inzwischen lebe ich seit mehr als zwei Jahren zufrieden abstinent. Ich gehe mit meiner Erkrankung offen um, was sehr hilfreich bei der Abstinenz ist. Heute lebe ich wieder so intensiv wie nie zuvor. Ich habe gelernt, mit negativen Situationen oder Gefühlen umzugehen – ohne den Einsatz von Alkohol. Ich habe mich selbst wiedergefunden! Besonders hilfreich ist für mich aber auch die intensive Mitarbeit im Deutschen Frauenbund für alkoholfreie Kultur. Es ist mir ein besonderes Anliegen, Mitbetroffenen Mut zu machen und zu vermitteln, wie lohnenswert es ist, den Weg aus der Alkoholsucht zu suchen: Du schaffst es auch, doch du schaffst es nicht allein!

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