Melanie (77): „Ich musste immer mehr trinken, um mich gut zu fühlen.“

Anfangs hat es Spaß gemacht, zu trinken. Mit einer Flasche Sekt am Tag fing ich an. Ich musste aber immer mehr trinken, um mich gut zu fühlen. Später kam Wodka dazu. Meine Ehe funktionierte nicht, und ich hatte das Gefühl, meinen Mann nur im Suff ertragen zu können.

Als ich im Alter von 46 Jahren von meinem Mann geschieden wurde, wollten die Kinder bei ihrem Vater bleiben. Meine jüngste Tochter war vier Jahre, die älteste 16. Sie entschied für beide: „Du kriegst die Kleine nicht, weil du trinkst!“ Außerdem war sie sehr materiell eingestellt; der Vater verdiente wesentlich mehr, als ich. Nur in den Ferien habe ich meine Kinder besucht.

 

„Mein neuer Partner trank auch.“

Ich zog in eine eigene Wohnung und arbeitete als Zimmermädchen in einer Pension. Morgens fühlte ich mich durch das Trinken am Abend zuvor völlig schlapp. Um meine Arbeit zu schaffen, habe ich angefangen, schon morgens Wodka zu trinken. Meiner Chefin fiel das nicht weiter auf, da sie auch trank.

Ich lernte Klaus kennen und zog bald mit ihm zusammen, auch weil ich nicht allein sein wollte. Er arbeitete auf dem Bau und trank am Tag 15 Liter Bier und mehr. Abends war er meistens um 19 Uhr im Bett und ich trank allein vor dem Fernseher. Er wollte das nicht, er machte mir Vorwürfe und so habe ich meine Flaschen überall versteckt. Meinen Wodka verdünnte ich mit Brause und unterwegs hatte ich stets einen Flachmann bei mir. Ich habe mich so geschämt, schaffte es aber nicht, aufzuhören.

 

„Ich landete auf der Intensivstation und habe nur knapp überlebt.“

Mein Hausarzt hat wohl gemerkt, dass ich ein Alkoholproblem hatte und meine Leberwerte gaben ihm Recht. Er sagte schlicht: „Sie trinken zu viel Alkohol“ – und obwohl mir das sehr peinlich war, wusste ich ja, dass es stimmt. Ich hatte großes Vertrauen in Ihn.

Eines Abends, ich war mit Klaus in einer Kneipe, hatte ich einen Blutsturz. Krampfadern im Magen waren geplatzt und das Blut schoss mir aus Nase und Mund. Die Schweinerei musste ich selbst wegmachen, Klaus hat mir nicht geholfen. Ich war dann noch ca. 16 Stunden zu Hause und habe immer wieder Blut erbrochen. Als ich bewusstlos war, bestellte Klaus einen Krankenwagen und ich kam auf die Intensivstation. Ich kam mit knapper Not am Tod vorbei. Da war ich 53 Jahre alt und hatte eine Leberzirrhose.

 

„Die Therapie und die Trennung vom Partner waren meine Rettung.“

In der Klinik stellte sich eine Sucht-Selbsthilfegruppe vor und ich erfuhr von der Therapiemöglichkeit. Noch im Krankenhaus füllte ich mit meinem Arzt einen Antrag aus. Ich war völlig geschockt von meinem Gesundheitszustand und blieb in den sechs Wochen bis zur Therapie trocken, sonst hätte ich den Platz nicht bekommen. Das war meine Rettung – und dass ich Klaus verlassen habe, weil er während meiner Therapie fremdgegangen war. Ende, aus, Feierabend!

 

Unterstützung durch die Töchter

Meine beiden Töchter waren inzwischen erwachsen und lebten zusammen in einer eigenen Wohnung in Hamburg. Die Große kümmerte sich wie eine Mutter um die Kleine und sorgte dafür, dass sie eine Lehre machen konnte. Nach der Therapie ließ ich für meinen Neuanfang Berlin hinter mir und konnte zu ihnen ziehen. Nach drei Monaten fand ich eine eigene Wohnung.

Ich suchte mit meiner ältesten Tochter in Hamburg eine Suchtberatungsstelle auf und fühlte mich von dem Therapeuten sofort verstanden. Er kam selbst aus der Abhängigkeit und seine lockere Art half mir, ganz offen zu sein. Ich besuchte dann regelmäßig eine Selbsthilfegruppe und lernte dort meinen jetzigen Partner Michael kennen. Er ist auch trockener Alkoholiker.

 

„Männer wissen alles besser“

Ich bin jetzt seit über 20 Jahren trocken. Für mein spätes Glück bin ich sehr dankbar. Meine Kinder machen mir keine Vorwürfe mehr, und meine Leber ist zwar zum Teil kaputt, aber die Werte sind heute normal.

Inzwischen bin ich Mitglied im Deutschen Frauenbund für alkoholfreie Kultur und schätze die Gespräche und unsere gemeinsamen Aktivitäten sehr. Unter Frauen kann man sich ganz anders unterhalten, ich fühle mich besser verstanden. Ich finde, Männer haben immer so viele Einwände und wissen alles besser. Meinen Ärzten gegenüber bin ich sehr offen und spreche über meine Alkoholvergangenheit. Ich möchte keine Medikamente verordnet bekommen, die mich wieder abhängig machen könnten.

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