Elisabeth (69): „Meinen Traumberuf wollte ich nicht verlieren“

Ich bin Erzieherin und habe 45 Jahre lang gerne mit Kindern gearbeitet. Bereits mit 31 Jahren habe ich die Leitung einer Kindertagesstätte übernommen. In den ersten Jahren der Kita-Leitung konnte ich mich noch ganz in die pädagogische Arbeit einbringen. Doch die Verwaltungsarbeit nahm immer mehr zu – der direkte Kontakt zu Kindern und Eltern wurde im Gegenzug weniger. Der Alkohol wurde mein Tröster.

Eine Kollegin, der ich auch schon in schwierigen, persönlichen Angelegenheiten geholfen hatte, sprach mich eines Tages darauf an, ob ich ein Problem mit Alkohol hätte. Sie sagte offen heraus, dass sie den Arbeitergeber einschalten würde, damit ich endlich aktiv würde, mir Hilfe zu holen. Und so kam es dann auch: Sie informierte den Arbeitgeber über meine Sucht, ich machte eine Entgiftung und anschließend eine dreimonatige Reha in einer Klinik.

Ich liebte meinen Traumberuf – aber nun war ich weg von allem, um nur etwas für mich tun. Das kam mir sehr egoistisch vor. Schon in meiner Kindheit wurde mir Verantwortung aufgebürdet. Nein zu sagen, hatte ich nicht gelernt. Mein Leben war geprägt von Pflichtbewusstsein. Ich war die Betreuerin meines Vaters, der im Seniorenzentrum lebte. Als Ansprechpartnerin für alle, die Probleme hatten, war ich immer bereit zu helfen. Und jetzt nahm ich eine „Auszeit“, die ich brauchte, um meine eigenen Bedürfnisse zu entdecken. Ich musste aber auch akzeptieren, dass ich alkoholkrank bin – und das ein Leben lang.

„Inzwischen mag ich mich“

Danach nahm ich Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe auf, die ich schon vor dem Klinikaufenthalt besucht hatte. Ich hatte eine Wohnung, eine Arbeitsstelle und eine Familie, die mich unterstützte. Aber es war an mir, mein Leben ohne Alkohol so einzurichten, dass es mir gut geht und ich wieder Spaß am Leben fühlen konnte. Eine Gruppe des Deutschen Frauenbunds für alkoholfreie Kultur traf sich direkt in meiner Nähe. Ich merkte, hier sind die Gespräche sehr offen. Sie machten deutlich, dass ich nicht aufhören darf, an mir zu arbeiten, wenn ich weiterhin alkoholfrei leben will. Und das will ich. Inzwischen mag ich mich nämlich.

Seminare über Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung haben mir gutgetan, auch wenn es manchmal schmerzlich war. Ich weiß jetzt, dass ich mich ohne die Alkoholerkrankung nicht so kennengelernt hätte. Ich achte auf mich, tue Dinge, die mir guttun und nicht den anderen. Aber daran habe ich arbeiten müssen und mache es immer noch. Ich reflektiere mein Tun und wie ich mit Situationen umgehe: Habe ich wieder das Problem eines anderen zu meinem eigenen gemacht? Oder habe ich es geschafft, mich zurückzunehmen – und Nein zu sagen?

 

 

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